Sonntag, 24. Januar 2010

Die Zukunft der Katholischen Kirche

Wenn auch jede Zeit für sich beansprucht, speziell zu sein, so gab es wohl doch vor dieser Zeit keine, die auf moralischem und kulturellen (wie auch auch auf technologischem) Gebiet dergestalt schnelle und gravierende Änderungen mit sich gebracht hätte. Alle Instanzen, Strukturen und Konzepte müssen sich anpassen oder mindestenfalls auf die geänderten Bedingungen reagieren.

Die Katholische Kirche galt Jahrhunderte lang als unantastbare moralische Instanz und genießt diese Einschätzung in manchen Fällen noch heute.

Wenn man nun die Zukunft der Kirche zu prognostizieren sucht, so werden potenzielle Prophezeiungen mutmaßlich in drei verschiedene Möglichkeiten zerfallen:

1. Die Kirche wagt eine Läuterung und den Weg zur Schrift

Es liegt auf der Hand, dass ein offenes Schuldeingeständnis dem Ende der traditionellen Katholischen Kirche gleichkäme. Diese lehrt, das Licht für die Gläubigen zu sein und den immerwährenden lichtreichen Glauben zu lehren. Ferner leugnet sie den Relativismus. Ein effektives »Mea culpa« würde all diese Grundfeste erschüttern und die traditionelle Kirche auflösen. Zu viele von den repressiven Päpsten wurden heilig gesprochen, zu viele Beziehungen zu brutalen Herrschern geknüpft, als dass die Geschichte noch mit dem Selbstverständnis der Kirche in Einklang zu bringen wäre.

Gleichwohl weiß jeder von den systematischen Verfehlungen. Es ist allein unmöglich, sie vollends einzugestehen, ohne das Gebäude einstürzen zu lassen. Diese Diskrepanz ist ein großer Schatten, der über dem Petersdom und der ganzen Katholischen Kirche liegt.

Daher ist nicht anzunehmen, dass die Kirche diesen Schritt wagt. Auf lange Sicht gesehen könnte er aber eine Läuterung darstellen, die sehr heilsam für die Kirche wäre. Alte, tradierte Dogmen könnten aufgelöst, die Geschichte neu und ohne Selbstherrlichkeit begonnen werden. Die Kirche müsste einen neuen Anspruch festlegen, der nicht mehr von so arroganter Natur sei wie jener der jetzigen Kirche. Dann wäre es ihr auch möglich, wahrhaft der Schrift zu folgen und gleichsam Stellvertreter Jesu zu sein, ohne diese Würde als mächtige Instanz zu missbrauchen.

2. Die Kirche führt den halbherzig-heuchlerischen Weg fort

Zunächst reagierte die Kirche auf die Liberalisierungs- und Modernisierungsprozesse erzürnt und mit voller Entgegnung (vgl. z.B. Antimodernisteneid...). Da allerdings (auch aufgrund der Liberalisierung) die Macht der Kirche auf ethische Einschätzungen geschmolzen war, konnte sich die Kirche der neuen Strömungen nicht erwehren, was eine leichte Liberalisierungswelle (Vatikanum II usf.) zur Folge hatte. Dieser anfängliche Elan wurde gleichwohl schnell durch die Horde der Konservativen und anderen Bedenken eingebremst, bis man sich auf einer Linie getroffen hat, mit der man beide Ideologien zu befrieden sucht. Jenen, die fordern, die Kirche sollte ihre Schuld konkret eingestehen, sich vom rechten ideologischen (nicht parteipolitischen) Rand lösen, überholte Dogmen und Einschätzungen überarbeiten, jenen bietet die Kirche gleichsam eine Basis an mäßig liberalen und durchwegs vernünftigen Klerikern an, die auch bereit sind, so manchen Fehler der Kirche einzugestehen. Auch die höchsten Ebenen verzichten darauf, zu besonders heiklen Themen Stellung zu nehmen und ziehen es vor, die Schattenseiten (so viele es auch sein mögen) in den Hintergrund zu drängen und mit den vermeintlichen Wohltaten der Kirche, die »Gnadentaten spendend durch die Jahrhunderte ging...« (Divini redemptoris), zu glänzen. Die konservativen Teile fühlen sich gleicherweise befriedigt, da der Vatikan ja keine konkreten Ein- oder Zugeständnisse gewährt, sondern in seinen Grundfesten an der alten, tradierten Ideologie festhält. Da diese Taktik noch immer verhältnismäßig gut funktioniert, kann auch angenommen werden, dass sie fortgeführt wird.

3. Die Kirche wendet sich den Konservativen und Fundamentalisten zu

Viele Zeitgenossen wähnen die Zukunft der Kirche in einer Spaltung. Die liberalen Kräfte (die auch kein Problem damit hat, Argumente für ihre Thesen zu finden) würden sich von der Kirche lösen, deren Körper sodann von einer Gruppe von Traditionalisten, Fundamentalisten und Konservativen gebildet würde, die der katholischen Lehre weiterhin konsequent anhingen.

Auf lange Sicht scheint diese These sehr wahrscheinlich, da nicht anzunehmen ist, dass die Kirche einen großen Bruch provozieren möchte, der gleichwohl nicht darin läge, die Liberalen , sondern darin, die Jahrhunderte alten Lasten abzuschütteln. Solange die Kirche postuliert, den einzig rechten Glauben zu vertreten und ihre historische Schuld faktisch leugnet, sollte sie langfristig für den distanzierteren, denkenden Gläubigen (oder auch nicht) keine akzeptable Gemeinschaft mehr darstellen. Zu widersprüchlich sind ihre Lehren, zu widersprüchlich ihre Praxis, zu elitär ihre Hierarchie, zu kleinlich ihre Ordnung. Gleichwohl sind es mit diese Phänomende, welche die Traditionalisten und Fundamentalisten zur Kirche treiben. Es ist fraglich, ob sich die Kirche aktiv von ihnen abwendet (wenn sie sich auch nur wenig den Liberaleren zuwendet), zumal jene Kräfte über die Jahrhunderte die kirchliche Macht ausbildeten.