Sonntag, 17. Juni 2012

Vom Wundern über die Sprachen


Phonetik und Phonologie können so unendlich schön sein. Doch sie sollten nicht im Selbstzweck versinken und lebloses Lehrmaterial sein, als ich etwa die Algebra kennen gelernt habe. Vielmehr sollte das Wundern über die Sprachen im Vordergrund bleiben.

Regularität und Globalität

Niemand kann entschlüsseln, weshalb sich Sprache wandelt. Das Italienische ist nicht »besser« oder »schlechter« als das Lateinische und alle Texte können in beide Sprachen übersetzt werden. Cäsar konnte mit Marcus Antonius spaßen und Francesco Totti kann seinen Scherz mit Daniele de Rossi treiben… Und doch haben sich die Sprachen verändert und verändern sich noch immer. Natürlich kann man zumindest hinter dem Wandel zum analytischen Sprachbau eine gewisse Vereinfachung wähnen, doch schon die machte zuvor eine Komplizierung notwendig. Unfassbar komplex die baskische Morphologie… oder das Sanskrit…

Doch was ist mit dem Lautwandel. Hier geschehen wahre Wunder…! Die furlanische Vokallängung tritt nur unter drei Bedingungen ein, die zur sogenannten posizione forte führen, die zu einem gelängten Vokal wird. Die Festlegung dieser Konditionen ist ohne Kenntnis der Phonetik und Phonologie nicht möglich. Und doch haben tausende Furlaner, ohne über derlei Kenntnisse zu verfügen, diesen Lautwandel in ihre Sprache geflochten. Niemand hat je einem Furlaner befohlen, aus muedo ein mût und nicht etwa ein mut zu machen, oder umgekehrt eine Längung nicht durchzuführen, wenn die Bedingungen nicht erfüllt sind — und doch wird der Wandel in absoluter Konsequenz vollzogen.

Ähnlich faszinierend die Zirkularität und die Universalität von Lautwandelerscheinungen. Monophthongierung und Diphthongierung sind in zahlreichen Sprachen häufig anzutreffende Kumpane. Und fröhlich lächelnd wechseln sie sich ab, machen aus dem lateinischen … Und genau so, wie das auf das Italienische zutrifft, trifft es auf das Deutsche zu. Während im Mittelhochdeutschen das Haus noch Hûs hieß, diphthongiert man heute etwa im Steirischen die Hand zu einer Haund. Umgekehrt fragt man mitunter nicht weißt du, sondern monophthongiert zu wasch?

Ferner sind auch Lautsubstitutionen spannend. So kann man etwa davon ausgehen, dass das Wort Kaiser recht früh aus dem Lateinischen entlehnt wurde: Die Palatalisierung ([tsEsar)) hat noch nicht stattgefunden. Anders verhält es sich mit den Wörtern Федор oder орфография. Als sie vom Griechischen entlehnt wurden, kannte man dort schon den Lispellaut (θ), der im Russischen substituiert wurde.

Vom Etruskischen kennen wir nur die Zahlen von 1-6, aber wir wissen nicht, welche wem entspricht…

Man beachte etwa folgende Autokorrektur:

teatro *teatr teater      (Etymon, Apokope, Epithese)

Oder diese geschickte relative Chronologie:

questo ( questo) quest      (Etymon, Apokope)
questi quisti quist      (Etymon, Metaphonie, Apokope)
bleiben unterscheidbar.