Über viele Jahre war ich der festen Meinung, dass wohl in jeder Mannschaft eine gewisse Stimmigkeit zwischen Offensive und Defensive herrschen müsse, dass aber doch eine offensivstarke Mannschaft stets über eine in der Defensive meisterhaft spielende Mannschaft die Oberhand behalten werde, wenn das Spiel denn erwartungsgemäß verlaufe. Solange man nämlich das Spiel in der Hälfte des Gegners laufen zu lassen imstande ist, solange das gegnerische Mittelfeld selbst damit beschäftigt ist, die eigene Kreativabteilung zu neutralisieren, könne jene Mannschaft nicht gefährlich werden. Mit dem heutigen Jahr habe ich angefangen, diese Überzeugung anzuzweifeln.
Nur von sehr wenigen Mannschaften war ich bisher dergestalt angetan, als von jener wahrhaft meisterhaften Inter, die heuer in eindrucksvoller Art und Weise La Tripletta errungen hat. Die Darbietungen gegen Barcelona und Bayern München waren unfassbar und spektakulär. Die Defensive der Pazzi geriet zu einem unüberwindlichen Wall. Da war die Innenverteidigung mit Lúcio, der energischen Naturgewalt mit atemberaubender Ruhe und Übersicht, sowie Samuel, »El Muro«, der beinharte Verteidiger mit überragendem Kopfballspiel, unvergleichlichen Organisator-Fähigkeiten und feinster Klinge beim Herausspielen. Da waren die Außenverteidiger Maicon, die fleißige und geschickte Dampfwalze, »El Capitán« Zanetti, der alles überragende und ewige Geist der Nerazzurri, unaufhaltsam in der Offensive, fehlerfrei und beherzt in der Defensive, das wahre Herz der Mannschaft, auch Chivu, der mutige und entschlossene Rumäne mit dem feinen linken Fuß und dem verschmitzten Lächeln. Da war das defensive Mittelfeld mit Cambiasso »El Cuchu«, dem bissigen Köter, der nicht nur beißt und rennt, wie es sich für den Hund ziemt, der vielmehr auch den langen wie den Kurzen Pass zu spielen weiß, der die Lücken wähnt, ehe sie sich öffnen, mit Motta, dem technisch beschlagenen Laufwunder, dem gegen Barça das typische Tätlichkeits-Unglück wiederfuhr, mit Stanković, dem genialen Serben, der Kampfkraft mit Übersicht und Technik paart. Da waren die Offensivspieler wie der pfeilschnelle und fleißige Eto'o, Sneijder, der jede Art von Pass, den ihm seine blühende Fantasie aufträgt, locker aus dem Fußgelenk schüttelt, sowie Pandev, der nicht minder fleißige und schussgewaltige Mazedonier. Und, da war die tödliche Spitze, die Krone der Mannschaft, die pfeilschnelle und unbezähmbare punta der Inter. Diego Milito, ein Spieler ohne Schwächen. Kompromisslos in den schmerzhaften Niederungen des Strafraums, unwiderstehlich am Weg dorthin. Eine nicht zu bannende Gefahr. Diese Ansammlung wundervoller Individualisten formte der Künstler José Mourinho zu einer unüberwindbaren Legion zusammen. Der Abwehrblock formte sich zu einem Atombunker, der schlichtweg nicht zu durchdringen war, in einem Radius von 20 m rund um das Tor, blieben den Gegnern noch nicht einmal 50 cm² freien Raumes, die es erlaubten, zumindest den Ball dorthin zu spielen. Hohe Bälle wurden postwendend zum gefundenen Fressen für Lúcio oder Samuel, flüssiges Kombinationsspiel in den Strafraum wurde angesichts der massiven Deckung desselben zu einem unmöglichen Unterfangen. Die gigantischen Weiten des Sechzehnmeter-Raumes schrumpften für die Offensivspieler auf die Dimension einer Bananenschachtel. Freilich: nur sehr wenige Mannschaften (man kann sie gewiss an einer Hand abzählen) vermögen, dergestalt zu verteidigen und es steht außer Frage, ein Fehler kann der entscheidende sein, der die Mannschaft trotz all der Defensivkünste ins Verderben stürzt. Doch, nahe der Perfektion ausgeführt, scheint dieses Spiel unbesiegbar. Natürlich muss man einräumen, dass es auch Not tut, nahe der Perfektion zu spielen (als vielfach auch vom FC Barcelona, nur eben was die Offensive betrifft behauptet) und viele Mannschaften haben sich in ähnlichem Spiel versucht und sind kläglich gescheitert. Auch, vielleicht selbst gerade, auf das Verteidigen und Kontern muss man sich verstehen... Schönere Beispiele hierfür haben wir nie gesehen. Undurchdringlich die Verteidigung, kreativ, schnell und kompromisslos die Offensive, die die Räume gnadenlos nützt, die sich ergeben. So spielte Inter. Und so spielten viele Vereine nicht, die es in gleicher Weise versuchten. Dort allein war dieses Spiel Harakiri. Wenn sich löchrige Verteidigungen an einer Abwehrschlacht versuchen, endet das in der Regel in der Vernichtung. Die gut gemeinte Absicht, einen schnellen Konterstürmer an die Mittellinie zu stellen führt normalerweise zu dessen totaler Isolation. Allein ist in diesen Fällen — als Inter bewiesen hat — nicht die Strategie schuld, denn vielmehr deren Umsetzung.
Die Arbeit der Verteidigung kennt fast keine Grenzen. Wenn sie die Räume fischdosenartig eng macht, gibt es für die gegnerische Mannschaft fast keine Möglichkeit zu reüssieren. Die Arbeit der Offensive hingegen kennt ihre Grenzen. Wenn schlichtweg kein Raum da ist, um kombinieren zu können, wenn auch die besten Flanken zur Beute der Verteidigung werden, wenn jeder Versuch eines Dribblings dazu verurteilt ist, sich im Gewirr der Beine zu verlieren, gibt es keine Struktur, die zur Überwindung der Abwehr führt...
Es sei denn, man verfügt über die Mittel, das Angriffsspiel zu variieren. Ich vermeine, Barcelona sei mit seinem Kombinationsfußball dergestalt erfolgreich durch die gegnerischen Verteidigungen gebraust, dass von Variation gar nie die Rede war. Es gibt nur ein Programm, und wenn dieses Programm nicht funktioniert, besteht die einzige Kur vermeintlich darin, dieses Programm weiter zu perfektionieren, anstatt zu alternieren... Hinzu kommt, im Falle des FC Barcelona auch noch der interessante Umstand, dass trotz all der Qualität in der Mannschaft kein Freistoßschütze anzutreffen ist, dessen Künste das Prädikat bescheiden überschreiten kann. Xavi kann wohl zentimetergenaue Pässe über 40 m schlagen, allein macht ihn das nicht zu einem guten Freistoßschützen.
Genau hier führe ich jetzt die Umstände an, die mich zum fast in der Charakterisierung der Grenzenlosigkeit der Abwehrarbeit bewogen haben. Denn auch trotz allerfeinster Verteidigung, wird man es nicht verhindern können, dass die gegnerische Mannschaft einmal von 20-30 m zum Schuss kommt. Diese kleine Lücke im Verteidigungsspiel, die kaum ganz auszufüllen ist, kann der große Fehler im einschlägigen System sein.
Ich zweifle.
Dienstag, 17. August 2010
Privatisierung — ein Schock?
In vielen Gemeinden Österreichs sieht man sich nunmehr geradezu schockiert dem Entschluss gegenübergestellt, dass kleinere Postämter geschlossen werden, schlicht weil sie nicht mehr rentabel sind. Dieser Umstand rief freilich heftige Polemiken und Unmut hervor. Zu Recht sehen sich die Bürger in ihrem Anrecht auf Infrastruktur beschnitten, auch die Bürgermeister sehen sich veranlasst, als Anwälte der Bevölkerung aufzutreten und für deren Bedürfnisse einzutreten.
Wenn der Sachverhalt nicht so traurig und besorgniserregend wäre, so könnte man es durchaus als amüsant bezeichnen, dass der Gutteil dieser Gemeinden traditionell von der ÖVP regiert wird und in vielen dieser Kommunen selbst Ergebnisse jenseits der 60% für die Volkspartei gewöhnlich sind. Paradox? Ja, denn wie keine andere Partei hat die ÖVP stets und mit aller Gewalt die neoliberale Doktrin vorangetrieben und jeglichen Wirtschaftszweig in staatlicher Hand zu privatisieren gesucht. Der Großteil der Privatisierungen, deren Folgen den gutgläubigen und — scheinbar — kurzsichtig naiven ÖVP-Wählern (und auch allen anderen) heute auf den Kopf fallen, wurde in der Zeit der rechts-rechten Koalition zwischen der ÖVP und der FPÖ realisiert. Leider wird auch das wunderschöne Beispiel der Postamt-Schließungen, provoziert durch (in der Privatwirtschaft) notwendig profitorientierter Kalkulation nicht dazu führen, dass die traditionell schwarze Wählerschaft an der Vernunft ihrer politischen Einschätzungen zu zweifeln beginnt, genauso wenig, als das die Wirtschaftskrise zu tun vermochte. Es scheint wiederum so zu sein, dass den in der Regierung befindlichen Parteien alle Mittel zur Verfügung stünden, vermöge derer sie eigene Fehler schlechterdings hinfortradieren können. Zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit Problemen und deren Ursache fehlt dem Durchschnittswähler ohnehin die Zeit und auch die Lust.
Mithin werden weitere Bereiche der Wirtschaft privatisiert werden und somit der Kalkulation von Angebot und Nachfrage unterworfen. Das Angebot wird den einschlägigen Gesetzen folgend radikalisiert werden, als an vielen Beispielen gerade passiert. Angebotene Dienstleistungen/Produkte sind entweder einträglich, werden einträglich gemacht (durch unbezahlbare Preise) oder gestrichen, losgelöst von der Überlegung, ob sie einzelnen Teilen der Volkswirtschaft Not tun. Vielleicht wird unsere Wirtschaft dereinst eine dergestalt progressive Ausformung erreichen, dass nur noch Eliten Zugang zu Bildung und Wasser haben, da ein breites Angebot schlicht nicht rentabel ist.
Mithin wird der kurzsichtige Krieg der Wirtschaft nicht durch einmütige Zusammenarbeit ersetzt, sondern vielmehr in derselben Weise fortgesetzt, als sie das Scheitern verursacht hat.
Wenn der Sachverhalt nicht so traurig und besorgniserregend wäre, so könnte man es durchaus als amüsant bezeichnen, dass der Gutteil dieser Gemeinden traditionell von der ÖVP regiert wird und in vielen dieser Kommunen selbst Ergebnisse jenseits der 60% für die Volkspartei gewöhnlich sind. Paradox? Ja, denn wie keine andere Partei hat die ÖVP stets und mit aller Gewalt die neoliberale Doktrin vorangetrieben und jeglichen Wirtschaftszweig in staatlicher Hand zu privatisieren gesucht. Der Großteil der Privatisierungen, deren Folgen den gutgläubigen und — scheinbar — kurzsichtig naiven ÖVP-Wählern (und auch allen anderen) heute auf den Kopf fallen, wurde in der Zeit der rechts-rechten Koalition zwischen der ÖVP und der FPÖ realisiert. Leider wird auch das wunderschöne Beispiel der Postamt-Schließungen, provoziert durch (in der Privatwirtschaft) notwendig profitorientierter Kalkulation nicht dazu führen, dass die traditionell schwarze Wählerschaft an der Vernunft ihrer politischen Einschätzungen zu zweifeln beginnt, genauso wenig, als das die Wirtschaftskrise zu tun vermochte. Es scheint wiederum so zu sein, dass den in der Regierung befindlichen Parteien alle Mittel zur Verfügung stünden, vermöge derer sie eigene Fehler schlechterdings hinfortradieren können. Zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit Problemen und deren Ursache fehlt dem Durchschnittswähler ohnehin die Zeit und auch die Lust.
Mithin werden weitere Bereiche der Wirtschaft privatisiert werden und somit der Kalkulation von Angebot und Nachfrage unterworfen. Das Angebot wird den einschlägigen Gesetzen folgend radikalisiert werden, als an vielen Beispielen gerade passiert. Angebotene Dienstleistungen/Produkte sind entweder einträglich, werden einträglich gemacht (durch unbezahlbare Preise) oder gestrichen, losgelöst von der Überlegung, ob sie einzelnen Teilen der Volkswirtschaft Not tun. Vielleicht wird unsere Wirtschaft dereinst eine dergestalt progressive Ausformung erreichen, dass nur noch Eliten Zugang zu Bildung und Wasser haben, da ein breites Angebot schlicht nicht rentabel ist.
Mithin wird der kurzsichtige Krieg der Wirtschaft nicht durch einmütige Zusammenarbeit ersetzt, sondern vielmehr in derselben Weise fortgesetzt, als sie das Scheitern verursacht hat.
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