Mittwoch, 23. September 2009

Fragen zur Existenz

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Die Frage nach der Existenz irgend gearteter Stoffe wird wohl niemals vollends zu beantworten sein, zumindest wird immer ein Zweifel bestehen, ob etwas wirklich existent sein kann. Es ist bekannt, dass wir letztlich kein Mittel zur unmittelbaren Erfahrung als unsere Sinnesorgane haben und dass hierin der große Fehler bestehen kann. Wir können nicht sagen, wir sähen einen Stein und belegten seine Existenz damit, dass wir ihn berühren und auch fühlen. Es ändert sich schließlich die Methode nicht und letztlich das Mittel genauso wenig. Ich möchte mich allerdings nicht länger in der Beantwortung dieser Frage zerhacken, sondern vielmehr schließen, dass es jedenfalls relative Existenz gibt. Alles, das wir bezeichnen und zu gewahren, fühlen oder hören meinen, hat in uns – unabhängig von der Frage, ob wir selbst, zumindest stofflich, existieren – eine eigenständige Existenz, wenn wir gleich nicht urteilen können, ob ein absolutes Vorhandensein, so es besteht, dieselbe oder eine andere Form hat. Diese eine spezifische, relative Existenz besteht ja allein in dem Individuum und hat sich folglich von seiner absoluten Position gelöst.

Man gerät hierin in die Nähe einer Idee der baskischen Mythologie, welche die Existenz aller bezeichneten Dinge anerkennt. Diesem Postulat möchte auch ich folgen. Alles was einen Namen trägt und folglich bezeichnet wurde, verfügt zumindest über eine relative Existenz im Bezug zu dem Bezeichnenden. Das Attribut relativ beschreibt der Grammatik nach allein die Art der Existenz, vermag aber sein Dasein nicht zu leugnen, wenn nicht genau das sein Inhalt ist: eine negative Existenz. Ein stoffliches Dasein kann folglich allein nicht bewiesen werden.

Und überhaupt ergeben sich hieraus verschiedene neue Probleme. Bedenken wir die Zahlen. Worin besteht folglich die Existenz und weiter die Identität einer einzelnen Ziffer? Dieses Problem kann im Allgemeinen auf viererlei Art und Weise gelöst werden:

  1. Jede einzelne Zahl, die in irgendeinem Zusammenhang irgendwo vorkommt, hat eine eigene, individuelle Existenz. Folglich hätte die Eins, die diesen Absatz bezeichnet, ein eigenes Sein unabhängig von allen anderen Ziffern. Ein Problem das sich daraus ergibt, ist die Frage, ob auch die entsprechende Ziffer einer Kopie dieses Zettels dieselbe Existenz sei. Ich würde diese Frage negieren, zumal die Definition ihres Bestehens schon eine gemeinsame Identität ausschließt.

  2. Jede Ziffer erhält ihre Existenz erst durch eine genaue mathematische Herkunftsgeschichte (jede andere Herkunft verfügt gemäß dem Kausalitätsprinzip freilich auch über eine Geschichte; dieser und der erste Punkt fallen also teilweise zusammen). Die Ziffer 7 in der Zahl 2,142857… erhält ihre eigenständige Existenz allein dadurch, dass sie der Division der 15 mit der 7 entstammt.

  3. Es gibt jede Ziffer nur einmal. Demzufolge ist es dieselbe Ziffer und dieselbe Identität, ungeachtet, ob die Drei hier als Nummerierung der Absätze, als Ergebnis der Errechnung der Quadratwurzel der Neun oder als Teil der Kreiszahl besteht.

  4. Durch das Bilden einer Zahl verlieren die einzelnen Ziffern ihre Existenz und werden zu einem Bund, zu einer kollektiven Identität und Existenz.

Durch diese Gedanken ergeben sich wiederum namentlich zwei Probleme. Zunächst ist die Frage nach Anfang und Ende des Lebenszyklus einer Ziffer zu stellen. Welche Handlung bezeichnet genau die Genese einer Zahl? Entsteht sie durch einen Gedanken, aus dem sie resultiert? Bedarf sie der Niederschrift? Diese Frage kann man wohl mit dem Verweis auf Ersteres beantworten. Schwieriger ist indes das Rätsel ihres Endes. Vergeht die Existenz einer Ziffer durch einmaliges Löschen? Dass sie durch das Vergessen ende, ist schon aus dem Grunde nicht wahrscheinlich, dass das Vergessen definitiv ein relativer und häufig stufenloser Vorgang ist. Man kann daraus schließen, dass es, wenn man dieser Theorie Glauben schenkte, Augenblicke gäbe, in der die (auch relative) Existenz der Zahlen nicht klar ist. Man kann aber auch die Position vertreten, dass das Dasein einer Ziffer, die einmal bestanden hatte, nicht auslöschbar ist, wofür schon die einmalige Existenz ausreichen kann. Auf das Kausalitätsprinzip hinweisend kann man auch argumentieren, dass das Sein einer Ziffer durch einen Eingriff in die Struktur der Kausalität (der durch das einmalige Auftreten einer Ziffer gegeben ist) bereits eine unendliche Dimension und sie demnach kein »Ende« hat, zumal ein Ende einer nicht organisch strukturierten Existenz ohnehin kontrovers zu diskutieren ist. Auch organische Existenzen gehen häufig mit emotionalen bzw. rationalen einher, deren Frage nach dem jeweiligen Ende getrennt zu beurteilen ist.

Das zweite Problem liegt darin begründet, dass durch die Definition (die existiert, wenn sie bezeichnet wurde), letztlich Wahrheit geschaffen werden kann. Es ist wohl ein zu kleinlicher Gedanke, als dass er Beachtung finden könnte, aber letztlich werden in jedem Lösungsansatz zur Frage der Existenz von Ziffern Wahrheiten postuliert, die durch ihre Bezeichnung zu existieren beginnen. Dementsprechend ist jede Definition (geworden) richtig, was aber wiederum widersprüchlich ist.

Zuletzt kann ich nicht umhin, offen zu legen, dass diese Gedanken eher der Freude am Fragwürdigen als aus einer Notwendigkeit oder einer besonderen Ernsthaftigkeit entstanden sind und ich nicht beanspruche, fehlerfrei geschlossen oder jede Methode richtig angewandt zu haben.


J. M. , September 2008

Fridericus V, Burokrazija 3174

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