Mittwoch, 23. September 2009

Fünf Aphorismen

Der Diskordianismus – Diese Strömung – und ich habe sicherlich die Autorität, sie dergestalt zu bezeichnen – hat gegenüber allen anderen Gemeinschaften und Ideologien den größten Vorteil, dass ihre Stichhaltigkeit und innere Richtigkeit kaum zu widerlegen ist. Im Gegensatz zu anderen Ideen kann sie sogar bewiesen werden. Je widersprüchlicher die Inhalte des Diskordianismus sind, je weiter die Meinungen auseinanderreichen, desto stärker wird die Bewegung. Indes kann es vermeintlich nicht ihr Ziel sein, möglichst viele Anhänger zu finden, die in möglichst vielen Punkten dieselben Meinungen vertreten, als es sich sonst mit Glaubensgemeinschaften oder Gesinnungen verhält. Vielmehr ist genau diese Eintracht das große Gegenteil ihrer Idee. In diesem großen Paradoxon ist diese Sammlung von Irrsinn und Genialität, von Paradoxem und Erfrischendem eingebettet. Und auch die zuweilen aneristische Logik wird in vielen Punkten nicht umhin können, ihr zu Folgen.


Ist Privatisierung Diebstahl? – Der Sonnenkönig Louis XVI. wird häufig mit den Worten L’état, c’est moi zitiert, die heute als Inbegriff absolutistischen Staatsverständnisses gelten. Wie, allein, müssten wir diesen Spruch korrigieren, so dass er sich auf die Demokratie bezöge? Ich höre es schon rufen: L’état, ce sommes nous! Wer, wenn nicht das gesamte Volk, solle denn den Körper des Staates in einer Demokratie bilden? Wenn aber wir der Staat sind, so ist auch alles, was staatlich ist unser, ebenso als der Öffentlichkeit gehört, was als öffentlich deklariert wird. Wir sehen schon das glühende Unrecht. Einzelne dürfen nicht verscherbeln, was allen gehört. Gewiss wird man entgegnen, es sei doch das Wesen der Demokratie, Stellvertreter zu wählen, die für das Volk seinen Willen erfüllen; man wird argumentieren, dass wir ja in keinem System der direkten Demokratie leben und dass unzählige Entscheidungen gefällt werden, ohne dass die Legitimität dieses Umstandes angezweifelt würde. Zunächst kann man das große Wort Besitz ist Diebstahl dagegen einwerfen. Gewiss ist das eine reißerische Einschätzung und wird heute in unserer »besitzenden« Welt nicht mehr toleriert. Doch aber wurde jeder Besitz einmal genommen. Solange es der Staat ist, der besitzt, gebraucht er seinen Besitz für seine Ziele, die – weil ja letztlich wir der Staat sind – die Gesundheit der Volkswirtschaft betreffen sollen. Besitz von Privaten wird hingegen für betriebswirtschaftliche Zwecke verwendet. Damit verliert das private Vermögen eigentlich seine Legitimität, zumal häufig volkswirtschaftliche Probleme mit der Privatisierung verbunden sind. Darüber hinaus gerät privater Besitz schnell zum Objekt von Spekulationen und zwar umso mehr, je wertvoller der Besitz ist. Somit wird das Gut nicht nach dem Gebrauchswert, sondern nach einer möglichen Rentabilität am Wertpapiermarkt eingeschätzt. Wenn denn nun wir der Staat sind, so wollen wir – als Kollektiv – wohl auch nur bestimmen, was uns zuträglich ist. Es ist das allein keineswegs, wenn einstmals staatlich geführte Unternehmen nunmehr vernünftiger und rentabler arbeiten. Ganz im Gegenteil: Das alles bestimmende Räderwerk von Angebot und Nachfrage instruiert die Wege. Wenn es Kürzungen gebietet, wird gekürzt. Dem Staat in weiten Teilen die Macht zu nehmen, sozial und gerecht zu sein – das ist Diebstahl.


Nieder mit den Grenzen! – Dergestalt zu rufen gerät man häufig in Versuchung, wenn man einerseits der Reize und Schönheiten fremder Kulturen und Persönlichkeiten, andererseits aber der chauvinistischen und selbstherrlichen Natur vieler Menschen gewahr wird. Man weiß sodann nicht, ob jenen mit Argwohn oder Mitleid zu begegnen sei. Sind sie es doch, die zuweilen mit Stolz, zuweilen aus Ignoranz, dem Gedanken einer Welt einen unüberwindlichen Riegel vorschieben, der selbst den Blick zu den Ausgeschlossenen verwehrt. Dann aber wird Bedauern zum Ausdruck unserer Augen und wir sehen, dass jene Getäuschten die schönsten Gedichte in den Augen der Fremden nicht zu lesen und die schönsten Gemälde in deren Worten nicht zu erkennen vermögen. Die Grenzen niederreißen? Ja sagt mir die Vernunft, die hier als Dienerin meiner Emotionen auftritt: Wo Grenzen sind, wird Ungerechtigkeit herrschen. Sie legitimieren den Besitz und entziehen ihn der gerechten Verteilung. Sie fördern Chauvinismus und Ignoranz, auch solange sie in den Seelen weiterleben. Sie behindern unser Selbstverständnis als ein Volk, das niemanden ausschließt, der dieses Verständnis für sich pflegt. Sie provozieren Zusammenschlüsse, die deren Grenzen umso deutlicher ziehen. Die Grenzen niederreißen? Nein sagt mir denn die Emotion: Geraten wir doch erst durch den steten Widerspruch und stetes Zusagen zu unserer Persönlichkeit. Liebe ich doch das Wort und bin auch unter denen, welche die Zahlen lieben. Lieben wir doch das Fremde und schätzen die Grenzen, weil sie uns ein Tor darstellen, das wir durchschreiten dürfen. Lieben wir doch die Völker hinter den Grenzen und heben zuweilen ihre Fahnen, während wir uns der unseren schämen. Wie also fort? Hin zu einer Welt, in der wir Grenzen lächelnd anerkennen!

Liebe – Liebe ist kein Verdientst, sondern eine Gnade.

Diskussion und Disputation – Das Postulat, die Demokratie funktioniere nicht, scheint mir hinlänglich belegt. Aus dem schlechterdings endlosen Schatz der Argumente will ich nun eines auswählen: Die Demokratie unserer Form unterdrückt ein gesundes Klima der Diskussion und Disputation, anstatt es zu fördern, zumal es der Herdennatur des Menschen widerspricht. Eine ideale Demokratie kann nicht funktionieren, ohne dass das Volk, das per definitionem die Regentschaft trägt, seine Meinung unentwegt überdenkt und durch gegenseitigen Austausch bereichert. Unsere »demokratischen Führer« scheinen diesen Austausch aber keineswegs forcieren zu wollen, sondern suchen vielmehr nach den geeignetsten Trichtern, die sich eignen mögen, Meinungen in die Menschen zu füllen. Gewiss gibt es Diskussion und Disputation, aber nur nach freien Gesetzen. Nur derjenige diskutiert, der es auch tun möchte. Die Regeln einer Diskussion werden selten festgelegt und noch seltener eingehalten. So geraten geplante Diskussionen zu rhetorischen Anstrengungen von wenigen Gehörten und spontane Gespräche zu unbedeutendem Geplauder einer Minderheit. Es ist für die einen gleichsam ein Kampfgespräch, das dem Eigeninteresse entwächst, für die anderen ein schöner Zeitvertreib.


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